Informationen zum Gesundheitswesen
Wir wollen Sie im folgenden über einige Aspekte unseres Gesundheitssystems informieren:
Belastungsgrenze / Zuzahlungsbefreiung / Definition "chronische Krankheit":
Gesetzlich Versicherte müssen pro Jahr maximal 2% ihres Bruttoeinkommens an Zuzahlungen bei Medikamenten und Heil- / Hilfsmitteln sowie im Krankenhaus leisten. Bei "chronisch Kranken" reduziert sich die Belastungsgrenze auf 1% des Bruttoeinkommens.
Wenn ein Patient die Belastungsgrenze erreicht hat, kann er bei seiner Krankenkasse beantragen, für den Rest des Jahres von der Zuzahlungspflicht befreit zu werden. Er muss hierzu seiner Krankenkasse einen Einkommensnachweis sowie Zuzahlungsquittungen aus dem laufenden Jahr vorlegen, die Summe der bereits geleisteten Zuzahlungen muss die Belastungsgrenze von 2% (bzw. 1% bei "chronisch Kranken") erreichen oder übersteigen.
Eine "schwerwiegende chronische Krankheit" im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn
> eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt und
> wegen dieser Erkrankung wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal eine ärztliche Behandlung erfolgte und
> eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich ist, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten wäre.
Wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, kann der Patient mit einem vom Arzt ausgefüllten Formular seiner Krankenkasse gegenüber das Vorliegen einer "schwerwiegenden chronischen Krankheit" belegen und somit die Anwendung der verminderten Belastungsgrenze von 1% des Bruttoeinkommens erreichen.
Ganz wichtig: Wer nicht jedes Quartal zum Arzt geht, kann nach den gesetzlichen Bestimmungen unabhängig von der Art und Schwere der Erkrankung nicht "chronisch krank" sein! (Beispiel: Arzttermin 31.3.2020 und Folgetermin 1.7.2020 kann den Patienten bis zu 1% seines Jahresbruttoeinkommens kosten, da im zweiten Quartal 2020 keine ärztliche Behandlung erfolgte)
Nicht verschreibungspflichtige Medikamente (OTC-Medikamente)
Seit dem 1.1.04 dürfen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (OTC-Medikamente: over the counter) nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden. Ausgenommen sind hiervon Verordnungen für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.
Es gibt eine Ausnahmeliste, die für bestimmte Medikamente bei bestimmten Erkrankungen eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zulässt. Nach dieser Liste (Stand: 3.3.10) sind in unserem Fachgebiet folgende nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnungsfähig:
Acetylsalicylsäure bis 300mg / Dosiseinheit (z.B. ASS 100) in der Nachsorge von Herzinfarkt und Schlaganfall sowie nach arteriellen Eingriffen
Acetylsalicylsäure und Paracetamol (z.B. ASS 500, Aspirin, Benuron) nur bei schweren und schwersten Schmerzen in Co-Medikation mit Opioiden
Gingko biloba Blätter-Extrakt (Aceton-Wasser-Auszug, standardisiert) (z.B. Tebonin, Kaveri, Ginkobil) nur zur Behandlung der Demenz
Magnesiumverbindungen oral (z.B. Magnesium verla) nur bei angeborenen Magnesiumverlusterkrankungen
Metixenhydrochlorid (z.B. Tremarit) nur zur Behandlung des Parkinson-Syndroms
Einschränkung der Medikamentenversorgung durch die Gesundheitsreformen
Früher war ein Arzt frei in seiner Wahl des geeigneten Medikaments. In den letzten Jahren wurden vom Gesetzgeber verschiedene Steuerungsmechanismen eingeführt, die die ärztliche Verordnungsfreiheit einschränken. Zurzeit beschränken folgende Instrumente die Verordnung von Medikamenten:
Arzneimittelbudgets
Schon seit Jahren bezahlen die Krankenkassen dem einzelnen Versicherten keine Medikamente mehr, sondern stellen der Gesamtärzteschaft einen bestimmten Betrag für die Arzneimittelversorgung aller Versicherten zur Verfügung. Nach Aufteilung auf die einzelnen Fachgruppen stand dem einzelnen Arzt bisher ein bestimmter Betrag pro Patient zur Arzneimittelverordnung zur Verfügung. Überschritt der Arzt diesen Durchschnittsbetrag, so zahlte er die Differenz aus eigener Tasche, unterschritt er den Betrag, so durfte er nichts behalten. Rückwirkend zum 1.1.2017 wurden diese früher gültigen Arzneimittelrichtgrößen durch eine kalenderjährliche Prüfung der Verordnungskosten auf der Basis von Fachgruppendurchschnittswerten ersetzt. Der Arzt kann jetzt nicht mehr im Voraus erkennen, welcher Betrag pro Patient ihm zur Verfügung steht.
In beschränktem Rahmen werden so genannte „Praxisbesonderheiten" berücksichtigt.
Generikaquote
Wenn ein Wirkstoff von verschiedenen Herstellern zu unterschiedlichen Preisen angeboten wird, so darf nur noch ein preiswertes Präparat verordnet werden. Diese Regelung ist prinzipiell sinnvoll, da die sogenannten „Generika" (Nachahmerpräparate) vor ihrer Zulassung ihre vergleichbare Wirkung und Bioverfügbarkeit im Vergleich zum Erstanbieter nachweisen müssen. Der verordnende Arzt muss einen Mindest-Generika-Anteil an seinen Gesamtverordnungen erreichen, da er sonst mit erheblichen Strafzahlungen belegt wird.
Me-Too-Quote
Bestimmte Medikamente werden von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein grundsätzlich als Scheininnovationen und damit als unwirtschaftlich angesehen. Diese Medikamente sind auf einer sogenannten "Me-too-Liste" erfasst. Wenn der Anteil dieser Medikamente an den Gesamtverordnungen eine festgesetzte Quote übersteigt, greifen gegen den verordnenden Arzt Sanktionen mit erheblichen Strafzahlungen. Diese Medikamente können daher nur noch in begründeten Ausnahmefällen verordnet werden. Es handelt sich auf nervenärztlichem Gebiet derzeit um folgende Medikamente:
Allegro, Invega, Neupro, Zebinix
DDD-Quote
Für bestimmte Medikamentengruppen wurden "definierte Tagesdosen" einzelner Standardwirkstoffe festgelegt. Wenn der Arzt zu häufig von dieser Standardbehandlung abweicht, drohen erhebliche Honorarabzüge.
Einschränkung der „Off-Label-Verordnungen"
Häufig werden Medikamente, auch nach den Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften, außerhalb der zugelassenen Indikationen eingesetzt, zum Beispiel, wenn für die Indikation kein zugelassenes Medikament zur Verfügung steht oder die zugelassenen Medikamente im Einzelfall nicht wirksam waren oder zu Nebenwirkungen führten. In diesen Fällen läuft der verordnende Arzt aber Gefahr, das Medikament selbst bezahlen zu müssen.
Bonus-Malus Regelung
Die in der Presse viel diskutierte „Bonus-Malus-Regelung" (für bestimmte Medikamentengruppen wird ein Festpreis pro Patient festgelegt, der Arzt kann durch billigere oder teurere Verordnung Gewinn oder Verlust machen) wurde im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein durch die oben genannten Instrumente „Generikaquote", „Me-Too-Quote" und "DDD-Quote" ersetzt. Im Bereich der KV Nordrhein kann kein Arzt durch Arzneimittelverordnung oder Arzneimittelnichtverordnung einen Gewinn erzielen!